Jens Asthoff

Schattenfarben, Körperlicht

Malerei von Miwa Ogasawara

 

Fängt sich da Licht in einer gläsernen Schale? Oder ist es eher eine Art materialisiertes, Objekt gewordenes Leuchten? Bei den Gemälden der Werkgruppe Vessel, an denen Miwa Ogasawara seit Anfang 2014 arbeitet, ist es oft nur ein schmaler Grat, der beide Eindrücke voneinander trennt. Oder aber verbindet: Das Faszinierende an diesen Bildern ist gerade die malerisch zugespitzte Unwägbarkeit, mit der sie den Eindruck eines leuchtenden oder aber beleuchteten Körpers ausbalancieren. In der Wahrnehmung sind es Bilder des Übergangs, Darstellungen, die sich mit der Betrachtung verändern: In einem Moment sieht man die lichtdurchflossene Schale, im nächsten das Leuchten einer ursprungslosen, in sich ruhenden Substanz.

Das Phänomen des Lichts nimmt in Ogasawaras Malerei auch bisher schon besonderen Raum ein, etwa in nahezu abstrakten Raumszenarios wie Living (2010), aber auch in neueren Arbeiten wie Spiegelung (2013) und Hallway (2014). Mit aktuellen Gruppen wie Vessel und Neon (2013–) sowie Einzelbildern wie Memories (2012), Station (2013) und Lichtspiegel (2013) ist das Thema im Werk Ogasawaras sogar wichtiger geworden, erscheint auch vielschichtiger und motivisch oft noch konzentrierter.

In der Kunstgeschichte ist Licht, malerisch wie metaphorisch, seit Jahrhunderten ein essenzielles Thema. Traditionell gilt es als spirituelle, als Geistmetapher – als das, was eine leblose Dingwelt beseelt und (Selbst-)Erkenntnis verkörpert, in christlicher Symbolik repräsentiert es den Heiligen Geist und die Auferstehung. In malerischer Hinsicht ist es darüber hinaus das maßgeblich plastische und raumbildende Moment: Allein aus dem Umgang mit Licht und Schatten kann Malerei so minimalistische wie universelle Meditationen entfachen – man denke nur an Stillleben Giorgio Morandis (1890–1964) oder die Darstellung leerer Raumfluchten bei Vilhelm Hammershøi (1864–1916).

Bei Ogasawara lässt sich eine durchaus vergleichbare Art von stiller Betrachtung konstatieren. Allerdings ist ihre Darstellung der Dingwelt stärker aufs Helldunkel und insofern noch deutlicher auf eine Lichtthematik ausgerichtet. Seit jeher verwendet sie ein äußerst reduziertes Kolorit: Feine Schwarz- und Weißabstufungen dominieren, versehen mit meist nur geringen Farbbeimischungen. Dadurch sind sie in ihrer Wirkung oft eher zu erahnen als unmittelbar sichtbar. Kolorit fungiert bei ihr nicht primär als Körperfarbe, sondern hat atmosphärisch raumformende, auf Lichtstimmung abzielende Funktion. So setzt Ogasawara Licht nicht etwa symbolistisch ein wie etwa Hammershøi, sondern macht es zum Träger reiner Präsenz, einer Art Fluidum von Zeitlosigkeit: Räume, Gegenstände, Menschen scheinen hier in Helligkeit zu schwimmen, sich bisweilen darin aufzulösen oder es zu assimilieren. In aller Präzision und Strenge ist Ogasawaras Malerei zugleich sehr atmosphärisch, und selbst starke Schwarz-Weiß-Kontraste weisen kaum je harte Konturen auf. Ihre Bilder sind einer subtilen Lichtdramaturgie unterstellt – und führen dabei einen Zustand des nunc stans vor Augen: Das in sich ruhende Jetzt, das die Dinge der Erscheinung nach fast überdeutlich klar vor Augen stellt, während da doch wie in feinstofflichem Übergang alles mit allem in Verbindung steht. Die Welt zeigt sich in diesen Bildern als Kontinuum.

In Vessel greift Ogasawara das auf thematisch konzentrierte und formal puristische Weise auf. Nichts weiter sieht man da als eine Schale auf einer Fläche. Malerisch ist das Licht darin modelliert wie ein Körper – und bleibt dennoch eigenartig ungreifbar, als sei er eine Fata Morgana oder eine Geistererscheinung: Es ist ein Übergangs-, ein Kippmoment, das sie hier in einem denkbar minimalen Setting dramatisiert. Das Motiv wird dabei zu einer Art von visuellem Resonanzkörper, bei dem kaum entscheidbar ist, ob man da Fülle vor Augen hat oder die Leere. Die einzelnen Arbeiten sind formal etwas unterschiedlich angelegt, loten die Spielräume des Themas aus. So ändern sich etwa die Fokussierung und die Positionierung der Schale: Mal kommt der Blick leicht von oben, mal setzt er flacher an. In Vessel 16 oder Vessel 1 rückt Ogasawara mit Darstellung einer Tischkante im oberen Bilddrittel eine formale Horizontlinie ein, was größeren räumlichen Halt suggeriert. In Vessel 3 und Vessel 13 zum Beispiel fehlt diese, hier konstituiert sich malerischer Raum allein aus den weichen Schattenwürfen, die der milchig-transluzente Lichtkörper über die Fläche streut. Trotz gesteigerter Objektpräsenz erscheint das Motiv paradoxerweise auch weniger greifbar, als wäre es in einen leichten Schwebezustand entrückt. Die Werke sind keine Varianten einer Serie, sie haben die Kraft eigenständiger Bildfindung. Das Kernmotiv, in dem sich da Leere der Form und Fülle des Lichts verschränken, findet in jeder Umsetzung zu eigener Präsenz.

In Neon, einer seit 2013 entstehenden Bildgruppe, greift Miwa Ogasawara die Thematik noch einmal anders auf: Darstellungen einzelner Neonröhren, diesmal also selbstleuchtende Körper, setzen die in Vessel offen belassene Ambivalenz von Ding und Schein außer Kraft. Hier ist es eindeutig: Man sieht das vom Objekt abgestrahlte Kunstlicht. Doch eine andere Ambivalenz stellt sich ein: Denn in gewisser Weise – zwar nicht der Sache, aber dem Bild nach – ist der Körper hier zugleich das Licht. Denn Leuchten und stoffliche Basis sind hier in gleicher Strahlkraft übergangslos miteinander verbunden. Bloß die von der Röhrenfassung hervorgerufene Schattenfuge stellt da ein lineares Minimum an Raumorientierung her. Das Bild selbst, in all seiner artifiziellen Nüchternheit, leistet das ausdrücklich nicht: Zur kompositorischen Setzung zählt, dass hier nicht die Spur einer Referenz, sei’s eine Zimmerdecke, ein Stückchen Tür oder ein Fenster ins Sichtfeld ragen. Ogasawara stellt innerhalb des Bildgevierts zwar raumperspektivische Platzierungen her: In Neon 4 (2013) etwa schaut man aus Untersicht auf eine vereinzelte, im oberen Drittel schräg verlaufende Röhre; in Neon 7 (2013) wird die waagerecht platzierte Lichtquelle nach oben durch eine knappe Abdeckung begrenzt und ruft dort einen schmalen Schatten hervor. Doch in beiden Fällen gibt es keine unabhängigen Raumkoordinaten – außer der Wand, die ja optisch mit dem Bildgrund in eins fällt. So wird Raum kontextlos, zieht sich ins Bild zurück, ein »Bildinnenraum«, der vom Betrachterstandpunkt abgekoppelt ist. Darin liegt ein hintergründig irritierendes Moment dieser Werkgruppe. Doch dieser Raum, aus nichts als linear gefasstem Licht gebaut, hat ein weiteres Charakteristikum: Das abstrahlende Leuchten ist der Bildgegenstand, zugleich aber auch die hier geltende Bedingung von Sichtbarkeit: In Neon malt Ogasawara Räume, die durchs Licht allein gleichsam »aufgespannt« sind und auch nur von ihm getragen werden. Man stelle sich probehalber dasselbe Setting vor, aber den Schalter auf Aus.

Neben solchen fokussierten Lichtdarstellungen beschäftigt sich Ogasawara immer wieder auch mit Diffusionsgraden von frei im Raum fließender Tageshelligkeit. Das ist in ihren Bildern häufig in architektonischen Settings organisiert, wird oft aber auch in Darstellungen von mehr oder weniger transparenten Vorhangstoffen moduliert, etwa in Nachwinter (2013) oder Timeframe (2010). Die Gemälde Living, Awareness of Life oder Vague aus den Jahren 2010 und 2011 sind frühe Beispiele für ihre Auseinandersetzung mit der raumbildenden Kraft des Lichts: Man sieht weitläufige Fluchten mit dicht gestaffelten, hohen Fenstern. Nichts Akzidentelles, keine Möblierung etwa, lenkt ab von der Begegnung zwischen Licht und architektonischer Struktur. Der Blick wird geradewegs in eine unbestimmte Tiefe gelenkt, von links fällt Tageslicht ein – und wird zum Akteur auf leerer Bühne: Living zeigt einen Raum, gebaut aus gestaffelten Schatten und glänzenden Reflexen – doch dessen strenge Klarheit kommt auf den zweiten Blick ins Wanken: Im rechten Bildteil zeigt sich ein schmaler Durchblick auf einen Nebenraum – oder handelt es sich um eine Spiegelung? Die Raumsituation bleibt ambivalent; auch in Awareness of Life, dem exakten Pendant zu Living. Darin malt Ogasawara den gleichen Blick in denselben Raum, diesmal aber als Nachtstück. Die Beleuchtung, wieder von links, wirkt punktuell und kühl, bei aller Subtilität der Darstellung auch irgendwie kompakter, das Licht verbreitet sich nicht wie eine diffus streuende Tageshelligkeit, es scheint von einer einzelnen Quelle auszugehen, womöglich einer Straßenlaterne. Und doch ist es zwischen all dem Schwarz noch immer spürbar präsent, erscheint auch hier wie atmosphärisch substanzialisiert.

Die Räumlichkeit des Lichts als ein durchgehendes thematisch-motivisches Interesse Ogasawaras findet in den großen Querformaten Hallway, Gang (2014) sowie in den kleinformatigen Vorläufern Gang 1 und Gang 2 (beide 2014) die jüngsten Interpretationen. Das Setting wirkt einfacher, noch stärker reduziert, Licht scheint darin zu schweben, ein immaterielles Kontinuum und zugleich greifbar wie eine feine Dunstschicht: Es ist hier der eigentliche, der sichtbar-unsichtbare Bildgegenstand. Die beiden Arbeiten fokussieren denselben Raum(typus), blicken aber in gegenläufige Richtung: Ein leerer Raum mit durchgehender, bis zur Decke reichender Fensterfront, der weit entfernt in einem schmalen Stückchen Wand mündet. Als Fluchtpunkt und formale Begrenzung ist dieses nur knapp ins Bild gerückt. Ein vage angedeutetes Fenstergitter betont die Vertikale, ebenfalls angedeutet sind transparente, lamellenartige Blenden, die einen Teil der Fensterfront abdecken. So lässt Ogasawara ein räumlich komplexes Mischlicht entstehen. In Gang fügt sie dem Setting ein paar schemenhafte Referenzfiguren hinzu. In Blässe und Ungreifbarkeit erscheinen sie hier wie eingehüllt in die sanfte, raumerfüllende Stofflichkeit des Lichts.

Eine weitere Werkgruppe in meist kleinerem Format besteht aus Studien zu (fast immer weiblichen) Figuren, es sind ausschnitthafte Darstellungen einzelner Körperpartien: Auch dies ein Thema, das Ogasawaras Schaffen von Beginn an begleitet. Dazu zählen frühe Bilder wie Haut/Bauch (2008) oder Haut/Schenkel (2006), eine Gruppe aus dem Jahr 2014 mit dem Titel Skin ist das jüngste Beispiel dieser Beschäftigung. Immer wieder richtet die Malerin ihren Blick konzentriert auf den Körper als sensible (Haut-)Oberfläche. In Skin 7 etwa sieht man eine Rückenstudie, Skin 1 ist ein Blick auf eine Hüfte, einen angewinkelten Unterarm und einen Ellenbogen. Das eigentliche Thema liegt in der Darstellung von Haut, Aspekte wie Schönheit und Verletzlichkeit schwingen mit. Doch auch dieser Blick basiert stets auf einer präzisen Lichtdramaturgie, und so sind diese Bilder auch meisterhafte Studien, in denen Haut als Schimmer feinstofflicher Lichtdispersion erfasst ist: Die verletzliche Schönheit des Körpers: dargestellt als ein subtiles Ineinander von Körperlicht und Schattenfarben.

Doch es gibt auch eine dunklere Seite im Werk Ogasawaras – eine, die neueren Datums ist: Die Gemälde der kleinen Gruppe Saigai (2011) sind weitläufige, eher düster und chaotisch wirkende Landschaftsprospekte. Nicht nur, dass man hier unwillkürlich jene Sphäre des menschlichen Wohn- und Nahbereichs verlässt, von denen die meisten anderen Bilder Ogasawaras erzählen. Die (Außen-)Welt, die sich hier zeigt, erscheint tatsächlich aufgewühlt und unbehaust: Keine Menschen, keine Spur von Zivilisation, selbst intakte Natur ist hier nicht auszumachen. Ein Horizont, Himmel und Erde, farblos, ansonsten bewegt sich in den Bildern scheinbar alles auf die Auflösung von Ordnung zu. Eine auf sehr kleines Format gedrängte Weite der Darstellung verstärkt den Eindruck einer vagen Beklemmung. Zusammen mit dem rauen Pinselgestus, einem schnellen, unmittelbar aus dem Malprozess heraus geführten kompositorischen Aufbau und dem oft ungeglättet harschen Ineinandergreifen von Schwarz und Weiß gibt Ogasawara hier einer impulsiven Ausdruckskraft und malerischer Dynamik Raum. Alles Sichtbare bleibt dabei bewusst in der Andeutung, freie Kräfte der Malerei dominieren das Bildgeschehen. Saigai 3 (2011) etwa könnte auf den ersten Blick als Morgennebel in einem bewaldeten Tal gedeutet werden, ein geradezu romantisches Klischee. Doch die Düsternis, eine gewisse Ruppigkeit der Malweise und der aufkeimende Eindruck, es könne sich auch um Ruinen handeln, lässt Betrachter innehalten. Ähnlich bei Saigai 4 (2011), einem Bild, auf dem jede Kontur des Dinglichen verwischt ist und sich in weiche Pinselschlieren und eine überm Horizont hoch aufbäumende grauschwarze Wolke auflöst. Ein beeindruckendes Naturschauspiel? Wohl eher nicht. Ungewiss zwar, was da passiert – doch desto klarer, desto fragloser ist hier die bedrohliche Atmosphäre des Bildes.

Der Titel, das japanische »Saigai«, bedeutet »Katastrophe«, und tatsächlich versucht sich Ogasawara hier in Darstellungen eines realen Ereignisses, das für eine Form von Auflösung natürlicher Ordnung steht: Kernschmelze und radioaktive Verseuchung. Die Katastrophe, mit der diese Malerei sich auseinandersetzt, ist jenes Reaktorunglück in Fukushima, das am 11. März 2011 infolge eines Tsunami, eigentlich aber doch wohl aufgrund menschlicher Hybris, über Japan hereinbrach. »Die Ereignisse von Fukushima haben mein Weltbild verändert«, sagt Miwa Ogasawara, die in Japan aufgewachsen ist und heute in Deutschland lebt. »Ein Einfluss auf meine Malerei war unvermeidlich.« Vielleicht lässt sich eine solch unbegreifliche, letztlich auch undarstellbare Katastrophe nur in einem solchen gestisch-improvisierenden, damit unweigerlich auch subjektiven Malprozess einfangen? In den all das Diffuse, das Beängstigende Einzug hält und Raum greift? Es ist ein sehr bewusster und auch ein demütiger Versuch, sich ein Bild zu machen – geführt in dem Wissen, dass er bestenfalls eine Leere berührt.